Zentrale medizinische Clearingstellen in Schleswig-Holstein schaffen
Bericht der Landesregierung, Drucksache 20/2549
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Für die Möglichkeit, zu den o.g. Initiativen Stellung zu nehmen, danken wir als Landes-Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände sehr herzlich.
- Wir begrüßen den Antrag des SSW und unterstützen die Aufforderung an die die Landesregierung, allen Menschen in Schleswig-Holstein den Zugang zur medizinischen Regelversorgung uneingeschränkt und dauerhaft zu ermöglichen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den Koalitionsvertrag der aktuellen Landesregierung: Auf Seite 120 heißt es: „Für Menschen ohne Papiere wollen wir das Hamburger Modell einer medizinischen Clearingstelle etablieren.“ Und auf Seite 57: „Die Strukturen für die medizinische Versorgung von Menschen mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus wie für Menschen ohne Krankenversicherung wollen wir fortsetzen. Unser Leitgedanke ist, dass ein Mensch, der dringend medizinische Hilfe benötigt, diese auch in einem geschützten Raum erhalten können soll.“[1]
- Wir möchten festhalten, dass es für Menschen, die sich außerhalb des deutschen Gesundheitssystems befinden (wohnsitz- und obdachlose Menschen, EU-Bürgerinnen/Bürger und Menschen ohne Papiere und legalen Aufenthaltsstatus) mehrere Anlaufstellen in Schleswig-Holstein gibt. Diese werden ausschließlich ehrenamtlich geführt und unterstützen bei der Vermittlung in medizinische Hilfsangebote. Eine finanzielle Unterstützung erfolgt durch private Spenden und die Städte Lübeck und Kiel. Diese ist jedoch nicht auskömmlich. Die Hauptlast leisten Ehrenamtliche, zuständig sehen wir aber die medizinische Regelversorgung. Eine Clearingstelle würde die Hauptlast vom Ehrenamt auf die Regelversorgung umverteilen und für Entlastung sorgen. Das Flächenland Schleswig-Holstein stellt hier eine besondere Herausforderung bei der medizinischen Versorgung dar. Die Clearingstellen müssen mit hauptamtlichen Personal (medizinische Fachkräfte und Sozialarbeiter*innen) ausgestattet und dementsprechend finanziert werden.
- Menschen ohne Papiere und illegalem Aufenthaltsstatus haben in unserem Selbstverständnis der UN-Menschenrechtskonvention Art. 25 Abs. 1: „(…) das Recht auf (…) Gesundheit und (…) ärztliche Versorgung (…)“[2] Der Koalitionsvertrag setzt hier an und führt aus, „(…), dass ein Mensch, der dringend medizinische Hilfe benötigt, diese auch in einem geschützten Raum erhalten können soll.“ (S.57)
- Wir erkennen hier den Willen der aktuellen Landesregierung für Menschen ohne Papiere verlässliche und regelhafte Strukturen zu schaffen. Die Einrichtung einer Clearingstelle begrüßen wir.
- Wir geben zu berücksichtigen, dass Menschen ohne Papiere sich in besonders prekären Lebenssituationen befinden, die sich negativ auf ihre psychische wie auch physische Gesundheit auswirken können. Ihnen ist es oft nicht möglich, den illegalen Raum zu verlassen, aus Angst entdeckt zu werden. Erkrankungen und medizinische Behandlungen werden verschleppt und führen oftmals zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation. Durch die Angst werden seltener medizinische Hilfen in Anspruch genommen, sogar in Notfällen. Eine garantierte Versorgung ermutigt zur Inanspruchnahme notwendiger Notfallbehandlungen. Die Anforderungen an eine Clearingstelle sind daher vielseitig und hoch. Der Zugang muss niedrigschwellig gestaltet sein, ein Vertrauen zu den Hilfebedürftigen aufgebaut und die ärztliche Schweigepflicht gewährleistet sein, sowie eine medizinisch qualifizierte Sprachmittlung für Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse ermöglicht werden. Insbesondere für Menschen im ländlichen Raum braucht es verlässliche Anlaufstellen zur medizinischen Behandlung.
- Es ist unerlässlich, dass sowohl die Clearingstelle als auch die entsprechenden Anlaufpraxen mit Ressourcen für etwaige Sprachmittlung ausgestattet werden.
- Die Clearingstelle sollte offen für alle Menschen ohne Krankenversicherung sein, unabhängig auch vom Aufenthaltsstatus.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Landesregierung aufgefordert
1.sich in einem ersten Schritt im Rahmen der Weiterentwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) mit dem Bund darauf zu verständigen, dass flächendeckende Anlaufstellen zur gesundheitlichen Versorgung geschaffen und auskömmlich finanziert werden,
- Wir befürworten diese Zielstellung und verweisen auf die landesweite Struktur der Anlaufpraxen, welche die hausärztlichen Praxen neben den regulären Sprechzeiten flankieren. Es ist zu prüfen, ob diese vorhandene Struktur für die niedrigschwellige Behandlung von Menschen ohne Papiere insbesondere im ländlichen Raum nutzbar wäre. Notwendig ist hier die Ausstattung mit den entsprechend auskömmlichen Mitteln zur Finanzierung und der Zugang zu einer qualifizierten Sprachmittlung.
2. gemeinsam mit Bund und Kommunen Regelungen zur flächendeckenden
Ausgabe von anonymen Behandlungsscheinen/ anonymen Gesundheitskarten zu treffen,
- Wir befürworten diese Zielstellung und eine Ausgabe der anonymen Behandlungsscheine / anonyme Gesundheitskarten über die Clearingstelle.
- Wir bitten zu prüfen, ob eine Ausgabe der Behandlungsscheine auch auf Länderebene im Alleingang umgesetzt werden kann, da das Thema sehr dringlich ist und auf Grund der Neuwahlen im Bund nicht absehbar ist, wann hier eine Einigung erzielt werden kann.
3. sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative für die vollständige Abschaffung
der Übermittlungspflicht nach § 87 des Gesetzes über den Aufenthalt[3], die
Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet
(Aufenthaltsgesetz – AufenthG) einzusetzen.
- Ärzte/Ärztinnen zählen nicht zu den Personen, die nach §87 des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet sind, Personen zu melden.
- Es gilt die ärztliche Schweigepflicht i.V.m.§203 des Strafgesetzbuches (StGB)
- Keine ausdrückliche Verpflichtung im AufenthG verankert. Im Wortlaut werden öffentliche Stellen wie Meldebehörden, Polizei und Sozialämter genannt.
- Datenschutz: Auch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schützt die sensiblen Daten von Patienten. Eine Weitergabe dieser Daten verstößt gegen die DSGVO.
- Für eine nicht-behördliche Clearingstelle gilt der §87 AufenthG ebenfalls nicht.
- Daher sollte eine Clearingstelle von einer NGO umgesetzt werden.
- Eine grundsätzliche Streichung der Übermittlungspflicht gemäß §87 AufenthG begrüßen wir und unterstützen eine Bundesratsinitiative.
Fazit:
- Unser Selbstverständnis ist, dass die medizinische Versorgung von Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus in Deutschland erfolgen sollte, sowie anonym und niedrigschwellig angeboten werden muss.
- Eine Clearingstelle sollte von unabhängigen freien Trägern umgesetzt werden, mit einer hinterlegten Regelfinanzierung.
- Das bestehende System der Anlaufpraxen sollte als Versorgungsstruktur für Menschen ohne Papiere genutzt werden.
Wir bitten, unsere Hinweise zu berücksichtigen und stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Anette Langner gez. Michael Selck
Vorsitzende Koordinator FA Migration
[1] https://sh-gruene.de/wp-content/uploads/2022/06/Koalitionsvertrag-2022-2027_.pdf
[2] https://e4k4c4x9.delivery.rocketcdn.me/de/wp-content/uploads/sites/4/2019/12/UDHR-dt.pdf Artikel 25 (1) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__87.html