Gemeinsame Stellungnahme der Landesstelle für Suchtfragen S-H und der LAG der freien Wohlfahrtsverbände
zum Entwurf des Gesetzes zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag
2021 – GlüStV 2021 – Drucksache 19/2593)
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir lehnen den uns vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung und zum Betrieb von Spielhallen in Schleswig-
Holstein ab. Leider räumt der Gesetzesentwurf den wirtschaftlichen Interessen den größtmöglichen Raum
ein, orientiert sich am unteren Schutzniveau des Glücksspielstaatsvertrag 2021 und gefährdet die Erreichung dessen
erstes Ziel. Wir fordern, dass der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren des Glücksspiels in Spielhallen
besser und schneller umgesetzt wird! Dabei dürfen hoheitliche Aufgaben nicht privaten Unternehmen überlassen
werden.
Das Spielhallengesetz wird überarbeitet, um es an den Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV 2021) anzupassen und
höchst richterliche Entscheidungen1 zu berücksichtigen. Dabei setzt der § 25 GlüStV 2021 die Untergrenze hinsichtlich
der Spielerschutzmaßnahmen in Spielhallen:
• Beschränkungen von Spielhallen; Verbot von Mehrfachkonzessionen2
• Zwischen Spielhallen ist ein Mindestabstand einzuhalten. Das Nähere regeln die Ausführungsbestimmungen
der Länder.
• Die Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle, die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht,
insbesondere in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist, ist ausgeschlossen.
• Die Länder können die Anzahl der in einer Gemeinde zu erteilenden Erlaubnisse begrenzen.
Den Ländern sind Anpassungsmöglichkeiten eingeräumt worden, die in Schleswig – Holstein nicht zur Erreichung des
erstens Ziel des GlüStV 2021 (Spieler*innenschutz) genutzt werden. Es könnten durch inzwischen mögliche landesrechtliche
Anpassungen der Gewerbeordnung sogar noch weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, wie z. B.
von unseren Nachbarn und weiteren Bundesländern3:
• Erhöhung des Mindestabstands zwischen Spielhallen und Einrichtungen, die von schutzbedürftigen Personen
besucht werden, auf 500 Meter
• die Reduzierung der Anzahl Glücksspielgeräte auf von 12 auf 8
• Verbot der Mehrfachkonzessionen
Der uns vorliegende Gesetzentwurf normiert nahezu das Gegenteil und schadet somit dem möglichen Schutz
glücksspielender Menschen. Das erste Ziel des § 1 GlüStV 2021 wird dadurch gefährdet.
Insbesondere kritisieren wir, dass keine Abstände zu Kindergärten eingehalten werden müssen. Es wird behauptet,
dass Kinder unter sechs Jahren nicht suchtgefährdet seien. Diese Behauptung ist nicht wissenschaftlich begründet
worden. Sie widerspricht der suchtfachlichen Kenntnislage und konterkariert unsere Aktivitäten in der
Primärprävention. Kinder sind besonders neugierige und durch Werbung beeinflussbar. Für sie erscheinen (Glücks-)
Spielhallen durch die „Allgegenwart“ als gesellschaftliche Normalität. Selbst beim Essen im Imbiss werden Kinder
mit Glücksspielen konfrontiert. Das lehnen wir entschieden ab, denn Glücksspiel ist gefährlich! Es kann Menschen
unheilbar krank (Sucht) machen und sie töten (durch Suizid4). Davor müssen wir die Kinder schützen und Glücksspiel
aus allen Orten verbannen, die zur Erlebniswelt von Kindern gehören, das sind insbesondere: Kindergärten, Schulen,
Jugendeinrichtungen, Sportvereine und die Gastronomie, zu der Kinder Zutritt haben. Weiterhin müssen die 500
Meter Abstand zu Suchtberatungsstellen und zu Schuldner*innenberatungsstellen umgesetzt werden. Auch zu Einrichtungen,
in denen sich überwiegende Menschen mit einer geistigen Behinderung aufhalten, müssen die Abstände
eingehalten werden. Und die 500 Meter dürfen nicht durch Ausnahmegenehmigungen verkürzt werden, wie dies im
§ 4 des Entwurfs vorgesehen ist. Dies ist besonders wichtig, da im Entwurf keine Vorgaben hinsichtlich der Einsehbarkeit
der Spielhallen gemacht werden (siehe Erläuterungen auf Seite 43 zu § 9). Zukünftig soll es also möglich sein,
dass besonders schutzbedürftige Personen den Glücksspielenden zusehen können. Neugierde, Verschiebung der
Sozialen Norm und Lernen am Modell sind Effekte, die eine besonders schädliche frühe Teilnahme der jungen
Menschen am Glücksspiel fördern und eine Rückfallgefährdung für abstinente pathologisch Glücksspielende darstellen.
Die Legislative hat ja eigentlich die Notwendigkeit einer quantitativen Regulierung von Glücksspielangeboten durch
eine Begrenzung der Verfügbarkeit und der einhergehenden Spielanreize erkannt. Die Länder begründen die Notwendigkeit
von Mindestabständen und das Verbot von Mehrfachkonzessionen mit einer „erheblichen Reduktion der
Verfügbarkeit von Spielgelegenheiten des gewerblichen Spiels“ und „einer ‘Abkühlung‘ des Spielers nach dem Verlassen
einer Spielhalle.“5 Die Reduktion stellt auch eine wirksame suchtpräventive Maßnahme dar6. In Schleswig –
Holstein sollen leider Mehrfachkonzessionen vergeben werden, bzw. extrem lange Übergangsfristen eingerichtet
werden7. Möglicherweise sind Mehrfachspielhallen, die im Besitz einer juristischen Person sind (typischerweise
GmbH), gar nicht vom Entfall der Erlaubnis betroffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 7. März 2017 (BvR 1314/12) klargestellt, dass landesrechtliche
Verschärfungen der Anforderungen an die Genehmigung und den Betrieb von Spielhallen verfassungsgemäß sind.
Die Länder besitzen die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung der gewerberechtlichen Anforderungen an den
Betrieb und die Zulassung von Spielhallen. Leider werden die sich daraus ergebenden Spielerschutzmaßnahmen
nicht verbessert, sondern lediglich aus der Gewerbeordnung übernommen.
Dabei wird in dem Marktsegment Geldspielgeräte ein besonders suchtgefährdendes Glücksspielangebot vorgehalten.
Mehrfachkomplexe führen zusätzlich zu einer Vervielfachung des Spielangebots, von dem eine entsprechende
Anreizwirkung ausgeht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bestätigt, dass derartige quantitative
Regulierungsansätze verfassungsgemäß sind. Sie reduzieren die Spielhallendichte und das Gesamtangebot an Spiel-hallen. Zudem fördern sie das besonders wichtige Gemeinwohlziel der Vermeidung und Abwehr der vom Glücksspiel in Spielhallen ausgehenden Suchtgefahren.
Den Ländern wurde im neuen § 29 Absatz 4 GlüStV 2021 die Möglichkeit eingeräumt, dass Verbundspielhallen, die am 01. Januar 2020 erlaubter maßen betrieben wurden, mit bis zu drei Spielhallen befristet mittels einer Zertifizie-rung durch eine akkreditierte Prüforganisation übergangsweise weiterhin betrieben werden können. Schleswig- Hol-stein nimmt diese Möglichkeit wahr. Die laut GlüStV 2021 „zur Sicherstellung des Spielerschutzes“ flankierend vorgesehenen qualitativen Voraussetzungen für die Anwendung der Öffnungsklausel (§ 29 Abs. 4) sind u.a. aus fol-genden Gründen kritikwürdig:
Die Zertifizierungen von Spielhallen können und dürfen hoheitliches Handeln der zuständigen Vollzugsbehörden nicht ersetzen. Die Erlaubnis zum Betrieb einer Mehrfach-Spielhalle wird quasi mittels Zertifikat durch eine akkredi-tierte Prüforganisation erteil, die nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten agiert, vgl. § 18 (2) auf Seite 16: „Die Erlaubnis ist unter der Bedingung der Wiederholung der Zertifizierung nach Satz 2 zu erteilen.“. Dies ist auch aus weiteren Gründen für die Glücksspielsuchtprävention schädlich:
• Es bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen Prüforganisationen und den zu zertifizierenden Spielstätten.
• Die Audits in Zertifizierungsprozessen finden ganz überwiegend angekündigt statt.
• Eine nicht erfolgreiche Zertifizierung kann durch den Einkauf neuer Audits kompensiert werden. Bei behördli-chen Kontrollen ziehen etwaige Nichterfüllungen der gesetzlichen Voraussetzungen jedoch ordnungsrechtliche Implikationen nach sich.
• Es steht in Frage, inwiefern nicht erfolgreiche Zertifizierungen den regional zuständigen Vollzugsbehörden be-kannt werden und von diesen in die Beurteilung der Zuverlässigkeit von Spielhallenbetreibern einbezogen wer-den.
• Zertifizierungen garantieren nicht eine Umsetzung der Jugend- und Spielerschutzmaßnahmen in der Spiel-stätte. Die bisherigen empirischen Befunde belegen insgesamt eine mangelnde Umsetzung der diesbezüglichen gesetzlichen Vorschriften für Spielhallen.
• Seit einigen Jahren gibt es bereits Prüforganisationen, die Spielhallen zertifizieren. Es ist bislang nicht ersicht-lich, dass von diesen zertifizierten Spielstätten suchtgefährdete Spielerinnen und Spieler an das Suchthilfesys-tem vermittelt werden. Wirksame Qualitätsunterschiede zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Spiel-stätten sind insofern nicht erkennbar.
Auch die weiteren vorgesehenen qualitativen Voraussetzungen für die Anwendung der Öffnungsklausel sehen wir sehr kritisch.
• Sachkundenachweis der/des Betreiberin/Betreibers: Sachkundenachweise sind für Spielhallenbetreiberinnen und -betreiber bereits gem. § 6 Abs. 2 Ziff. 3 GlüStV 2021 verpflichtend. Es ist insofern fraglich, inwiefern hierin eine zusätzliche Maßnahme i.S. des Spielerschutzes zu sehen ist. Auch sind die Betreiberinnen und Betreiber nicht durchgängig in ihren Spielstätten anwesend.
• Besondere Schulung des Spielhallenpersonals: Der GlüStV 2021 lässt offen, welche Besonderheiten eine sol-che Schulung gem. § 29 Abs. 4 GlüStV 2021 aufweisen sollte. Suchtpräventive Schulungen des Spielhallenper-sonals sind bereits gem. § 6 Abs. 2 Ziff. 3 GlüStV 2021 obligatorisch und sollen das Personal in diesem Rahmen dazu befähigen, die gesetzlichen Maßnahmen zum Jugend- und Spielerschutz (z. B. Aufklärungsgebot, Früher-kennung, Vermittlung gefährdeter Spielerinnen und Spieler an das Suchthilfesystem) zu gewährleisten. Dass in S-H sogar lediglich eine Aufsichtsperson in Mehrfachspielhallen vorgeschrieben ist (siehe § 6 (4) 4. auf S. 10 im Entwurf), halten wir für unverantwortbar. Um Veränderungen im Glücksspielverhalten erkennen und Hilfe anbieten zu können, muss mindestens eine dafür ausgebildete Person in einer Konzession (Spielhalle) anwesend und ansprechbar sein.
Die genannten qualitativen Voraussetzungen suggerieren ein höheres Niveau des Spielerschutzes. Sie sind aus sucht-fachlicher Sicht jedoch nicht geeignet, dieses sicherzustellen. Außerdem ist festgelegt, dass die häufigen Doppel-spielhallen auch ohne Zertifizierung nach § 18 weiterbetrieben werden dürfen (vgl. § 19 Übergangsbestimmungen).
Die im GlüStV 2021 verankerten Ziele des Spielerschutzes und der Verhinderung von Glücksspielsucht, die durch eine Verfügbarkeitsreduktion und die Eindämmung von Spielanreizen angestrebt werden, werden durch die Län-deröffnungsklausel tatsächlich konterkariert. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), hat den Bundesländern jüngst vorgeworfen, durch eine unkontrollierte Freigabe des Online-Glückspiels die Bemü-hungen zur Suchtbekämpfung zu untergraben10. Damit dies nicht auch noch im besonders gefährlichen Bereich der Glücksspielautomaten geschieht, machen wir folgende Empfehlungen.
Suchtfachliche Empfehlungen:
1. Die Mindestabstände müssen einheitlich für alle Spielhallen gelten und 500 Meter betragen. Die Abstände müssen von allen Einrichtungen eingehalten werden, in denen sich für gewöhnlich schutzbedürftige Personen aufhalten: Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Sportvereine, Gastronomie (sofern Kinder Zutritt ha-ben), Suchtberatungsstellen, Schuldner*innenberatungsstellen. Auch zu Einrichtungen, in denen sich über-wiegende Menschen mit einer geistigen Behinderung aufhalten, müssen die Abstände eingehalten werden. Und die 500 Meter dürfen nicht durch Ausnahmegenehmigungen verkürzt werden und natürlich auch zwi-schen Spielhallen eingehalten werden.
2. Eine Inanspruchnahme der Öffnungsklausel für Mehrfachspielhallen in § 29 Abs. 4 GlüStV 2021 durch S-H ist aus suchtfachlicher Perspektive abzulehnen. Wir fordern das Land auf, auf den Gebrauch der Klausel vollstän-dig zu verzichten.
3. Etwaige (auch freiwillige) Zertifizierungen von Spielhallen dürfen für behördliche Einschätzungen des Jugend- und Spielerschutzes nicht maßgeblich sein. Vielmehr ist eine eigene, unabhängige Beurteilung durch die Be-hörden vorzunehmen.
4. Eine verbesserte personelle, finanzielle und sonstige Ausstattung der behördlichen Vollzugsbehörden wird für zwingend erforderlich gehalten. Diese müssen in die Lage versetzt werden, regelmäßige Kontrollen von Spielhallen durchzuführen sowie eine hohe Kontrolldichte sicherzustellen. Derartige Vollzugsbemühungen sind unabdingbar, um die tatsächliche Umsetzung der rechtlichen Vorgaben zum Spielerschutz sowie zur Ver-hinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht zu beschleunigen.
5. Die Zutrittskontrolle muss zuverlässig umgesetzt werden, um Minderjährige und gesperrte Spieler*innen vor den Gefahren durch Spielhallen zu schützen. Wir empfehlen die Kontrolle mittels eines amtlichen Ausweis-papieres und nicht durch sogenannte „vergleichbare Identitätskontrollen“11. Dafür muss in den Spielhallen genug für die Früherkennung und Frühintervention bei Glücksspielsuchtgefährdung geschultes Personal an-wesend sein.
6. Der vorliegende Entwurf des Spielhallengesetzes macht deutlich, dass damit mehr Wirtschaftsförderung als Spielerschutz bezweckt wird. Dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Touris-mus sollte die Federführung für die Gesetzgebung für das Glücksspiel entzogen und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie übergeben werden, das es dann hinsichtlich des Spielerschutzes überarbeitet.
Selbstverständlich stehen wir für weitere Beratungen gerne zur Verfügung.